Karl-Heinz Czerlinski

Geschichte des Kreises Darkehmen/Angerapp

von Karl-Heinz Czerlinski

Der Fremde, gleich aus welcher Himmelsrichtung er sich der etwa 4000 Einwohner zählenden Kreisstadt Darkehmen näherte, nahm diese Landstadt, die 1938 in Angerapp umbenannt wurde, erst wahr, wenn er davor stand.

Die Stadt lag tief eingebettet in ein von der Angerapp durchflossenes Tal der Grundmoräne und zwar auf einem alten Talboden des Flusses. Bei geeigneter Sonnenbestrahlung und malerischem Wolkenhimmel war der Ausblick von der Höhe des Angerappufers am Schützenpark auf das Städtchen im Talgrunde besonders reizvoll. Die Häuser und Häuschen mit ihren in den verschiedensten Farbtönen herüberleuchtenden Dächern, die vielen grünen Baumkronen dazwischen, der hohe Kirchturm, das Rathaus mit seinem eigenartigen Turm, die burgähnlich hervortretende Kaserne, der parkartige Friedhof, das schmale blaue Flussbad der Angerapp, die großen Mühlenwerke, alles das vereinigte sich zu einem farbenfrohen freundlichen Gesamtbild.

Steil führte der Weg ins Städtchen hinab. Über eine feste Steinbrücke mit Trägern und Bogen aus Stahl erreichte man auf breiten gut gepflasterten Straßen, die beiderseits mit fliesenbedeckten Bürgersteigen versehen waren, in wenigen Minuten Alt-Darkehmen. Der fast quadratische Marktplatz mit dem grünen Markt und der Schul- und Kirchenstraße bot das Bild der Kolonistenstadt des 18. Jahrhunderts in Preußen. Ein Haus reihte sich an das andere, oft nur Erdgeschoß und Mansarde. Die schlichte Bauweise spiegelte die schwere Zeit wieder, in der die Stadt entstand und zeugte von der Gesinnung ihres Schöpfers, des praktisch und sparsam denkenden Königs Friedrich Wilhelm I.

Darkehmen – Grüner Markt

Kein Chronist berichtet, wie lange schon Menschen im Tal und auf den Höhen der Angerapp wohnten, die in rd. 72 km Länge den Landkreis durchzog. Bedingt durch die Zwischeneiszeiten scheidet die ältere Steinzeit für die Urgeschichte Ostpreußens aus. Es kann mit Sicherheit angenommen werden, dass erst seit der sog. mittleren Steinzeit Menschen auch an den bewaldeten Ufern der Angerapp lebten.

Im Menturrer Torfmoor wurden Harpunen mit eingesetzten Feuersteinschneiden gefunden, in Gudwallen ein kleines Steinbeil, im Flussbett der Ragawisze in der Nähe des Potrimposberges eine Steinhacke. Diese Funde zeugen von der Tätigkeit der damaligen Bewohner als Jäger und Sammler. Besonders wertvoll waren die Funde bei den Pfahlbauten im Zedmarbruch. Sie erbrachten den Nachweis, daß von den jungsteinzeitlichen Kulturkreisen, die nach der ornamentalen Behandlung der Töpferwaren sich unterscheiden lassen, der der „Kammkeramik“ in unserem Kreis vertreten war.

Aus der Bronze- und Eisenzeit hat das mittlere Angerapptal nur wenige Funde geliefert. Daraus kann der Schluss gezogen werden, daß die Bevölkerungsdichte in diesem Raum abgenommen hatte. Funde römischer Münzen, so in Trempen, Grobienen und Gruneyken, deuten darauf hin, dass Handelsbeziehungen – mehr durch Zwischenhandel als direkt – unsere Heimat mit dem Süden verband. Der Volksstamm der Prussen lebte jahrhundertelang abgeschlossen im Osten unserer Provinz in den Gebieten Barten, Natangen, Galinden, Schalauen und Nadrauen. Der Boden unseres Heimatkreises hat kaum Reste jener Jahrhunderte überliefert. Wohl künden Burgwälle auf den Höhen des Angerappufers von jener Zeit, so bei Balschkehmen und Camanten. Vermutlich handelte es sich um Sitze prussischer Edler.

Ins volle Licht der Geschichte tritt Ostpreußen erst 1230, als der Deutsche Orden hier Fuß fasste. Aber erst ab 1272 trat unsere Heimat Nadrauen in unmittelbare Kämpfe mit dem Orden ein. Die Hauptfeste Nordnadrauens, die Burg Carneniswinka, bei der späteren Burg Insterburg, wurde vom Orden erobert. Auch mancher Burgwall an der Angerapp mag damals gefallen sein, ohne dass ein Chronist davon berichtet. Nach der Niederwerfung des Preußenaufstandes stand der Orden am Ende seiner zweiten, schwersten Kampfzeit. Die friedliche Aufbauarbeit, die Erfassung der „Wildnis“, jenes ausgedehnten waldreichen südlichen und östlichen Grenzlandes begann. 1336 wurde die Burg Insterburg errichtet und Mittelpunkt landwirtschaftlicher Siedlung. Einige feste Häuser des Ordens waren die Fühler, welche die Landesherrschaft in die „Wildnis“ ausstreckte. Dazu gehörte das 1360 vom Komtur zu Balga gegründete Grebyn (Groß-Grobienen) und das vom selben Komtur 1363 gegründete Wildhaus Rugenbrust, das spätere Groß-Sobrost. Diese Wildhäuser wurden an den Durchgangsstellen der großen Wildnis angelegt und bildeten die Grundlage für spätere Siedlungen. Zweifellos können die genannten Orte als die ältesten des Kreises Darkehmen angesehen werden.

Angerappschleife bei Bagdohnen – KI. Pelledauen

Einige Jahrzehnte später kamen auch die ersten Kolonisten in den Darkehmer Kreis. Die älteste Nachricht darüber stammt aus dem Jahre 1442. Im Süden und Westen des Kreises lebten schon Vertreter des Adels, wie die Grafen Schlieben. 1523 werden Medunischken und Groß-Sobrost in ihrem Besitz genannt. Der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, legte 1525 die hochmeisterliche Würde nieder. Der Ordensstaat wurde ein weltliches Herzogtum. Die nach Osten gerichtete Ansiedelungspolitik wurde kräftiger fortgesetzt. So mehrte sich auch die Zahl der deutschen Kolonisten. 1560 wird Sobimmen (Szabienen) genannt. 1565 übergab Herzog Albrecht dem Georg von Thalau 22 Hufen Wildnis „zum Auerfluß“ genannt. 1576 wird Kleschawen (Kleschowen) erwähnt, ein Jahr später Uschblenken und Krickstan (Christiankehmen). Erst einige Jahrzehnte später trat auch Darkehmen in das Licht der Geschichte.

Am 30.11.1604 erwarb ein gewisser Hans Lengnick ein Krugrecht in Dorekheim (Darkehmen), wie aus der Verschreibung von 1615 hervorgeht. Es mag ein Zufall sein, daß Darkehmen noch nicht im 16. Jahrhundert Erwähnung fand. Sicherlich hatte es schon vor 1604 bestanden, lag es doch an dem einzigen Übergang über die Angerapp, an der Straße nach der bereits 1570 gegründeten Stadt Goldap.

Im Jahre 1544 bestand nur in Insterburg, dem Sitz des Hauptamtes, eine Kirche. Bis 1589 wurden 11 neue Kirchen errichtet, darunter die zu Szabienen (1565 bis 1575) und Trempen (um 1570). Hier wirkte von 1630 bis 1641 der Pfarrer Johannes Portatius. Er heiratete 1636 die im Jahre 1618 zu Tharau geborene Anna Neander, Tochter des 1629 verstorbenen Pfarrers Andreas Neander. Der ostpreußische Dichter und Professor der Poesie an der Universität Königsberg, Sirnon Dach, (1605-1659) dichtete zu ihrer Hochzeit das bekannte Lied: „Annchen von Tharau“.

Da die kirchliche Versorgung der Kolonisten nicht ausreichte, entstanden weitere Kirchspiele, so 1599 Ballethen durch Abzweigung vorn Tremper Kirchspiel, Darkehmen durch Abtrennung vom Szabiener Kirchspiel. Die Kirche wurde 1615 gebaut. Es war ein Fachwerkbau mit 12 sechsteiligen Fenstern. Im Laufe der Jahre war sie so baufällig geworden, daß 1752 der Abbruch erfolgen mußte. Unter Verwendung der Baumaterialien der alten Kirche wurde ein neues Gotteshaus errichtet, das am 15.9.1754 eingeweiht wurde. Es stand auf dem späteren sog. „Kinderspielplatz“. Aber auch dieses Gotteshaus mußte „wegen der Unsicherheit und drohenden Unfälle“ 1836 geschlossen werden.

1841 begann der Neubau auf dem Platze, wo die erste Kirche gestanden hatte. Am 9.10.1842 wurde das noch allen bekannte Gotteshaus eingeweiht. Der die Stadt überragende Kirchturm stammte erst aus dem Jahre 1892. Das Kirchspiel Dornbrowken wurde am Anfang des 17. Jahrhunderts von Eustach von Schlieben gegründet, das Kirchspiel Kleschowen 1701 von der Familie von Ostau. Das Kirchspiel Wilhelmsberg verdankt sein Entstehen wie auch sein 1725 eingeweihtes Gotteshaus König Friedrich Wilhelm I.

Das Schulwesen entwickelte sich im Bereich der Kirchspiele. Der erste Schulmeister im Dorf Groß-Darkehmen hatte bereits vor 1652 bis 1659 gewirkt. 1706 wurde eine Schule erbaut, die wahrscheinlich auf der Ecke Wilhelm-Schulstraße stand. 1733 war sie so baufällig geworden, dass man sie räumen musste. Im gleichen Jahre schenkte König Friedrich Wilhelm I. das Haus Nr. 59 in der Schulstraße als Schulgebäude. 1764 musste man ein festeres Gebäude errichten, das seinen Zweck zuerst als Schule und dann bis in unsere Tage als Heimatmuseum erfüllt hatte. Neben dieser „Kirchschule, kombiniert mit der Stadtschule“, wie sie 1800 hieß, bestand seit 1782 die sog. kleine oder Mädchenschule, die Vorläuferin der späteren Volksschule.

Blick auf die neue Stadtschule um 1936/37

1851 kaufte die Stadt das schon vorher mietweise benutzte Haus Wilhelmstr. Nr. 126 und baute es 1865 zur Stadtschule um. 1936 wurde dann ein neues Schulgebäude für eine 14-klassige Volksschule errichtet. Im Herbst 1922 wurde vom Schulverein die höhere Knaben- und Mädchenschule gegründet und 1929 als städtische Realschule anerkannt. Sie war im ehemaligen Offizierskasino und in sich anschließenden Räumen der Kaserne untergebracht. Die Anstalt wurde Schulmittelpunkt für den gesamten Kreis und zählte am 1.5.1936 in Klassen von Sexta bis Untersekunda 146 Schüler und Schülerinnen. Dazu gab es im Kreisgebiet 1937 noch insgesamt 70 Volksschulen.

Die politischen Wirren des 17. Jahrhunderts trafen das Herzogtum Preußen schwer. Es wurde Kriegsschauplatz der beiden schwedisch-polnischen Kriege. Wenn auch das Kirchdorf Groß-Darkehmen verschont blieb, so gingen manche Siedlungen der Umgebung in Flammen auf, wie Awischen, Bidschuhnen und Pogrimmen.

Wieder nahte ein Verderben. Es war die Pest. In den Jahren 1709/10 verlor Preußen den dritten Teil seiner Bewohner. Etwa 10.000 Bauernhöfe waren verlassen oder ausgestorben. Nach der Pestzeit konnten nur 4070′ der Höfe wieder durch ostpreußische Siedler besetzt werden. König Friedrich Wilhelm I rief Kolonisten in sein Land. Aus der Schweiz, den Kantonen Basel und Bern, kamen die ersten. In unserem Kreise siedelten sie sich um Sodehnen an. 1720 kamen Kolonisten aus der Pfalz, Sachsen, Nassau, Württemberg, Halberstadt und Oldenburg.

Die Konferenz zu Ragnit 1723 nahm die Erhebung des Dorfes Groß- Darkehmen zur Stadt in Aussicht. Am 10.9.1725 erschien der Etatsminister von Görne in Darkehmen. Bei den Magistratsakten der Stadt befand sich ein Protokoll der Verhandlungen dieses Tages, auf die sich die Rechte Darkehmens als Stadt gründen.Das Stadtgründungsjahr ist somit 1725. Die endgültige Festlegung der Rechte geschah für alle neugegründeten Städte Preußens gemeinsam durch ein Patent des Königs vom 10.1.1726. Mit der Stadtgerechtigkeit verband sich die Führung eines Wappens und eines Stadtsiegels. Das Wappen zeigt als Symbol der neuerstandenen Stadt in blau auf grünem Boden vor einem silbernen Dreiberg einen flugbereiten goldbewehrten schwarzen Adler; darüber die strahlende Sonne.

Seit 1724 stieg die Zahl der deutschen Einwanderer. Im Jahre 1732 kamen die ersten Salzburger. Sie beeinflussten die handwerkliche Entwicklung der Stadt entscheidend. Ende 1733 zählte die Stadt schon 742 Einwohner, darunter 103 Salzburger. 1756 waren es schon 1007 Einwohner mit 183 Salzburgern. Weniger stark war die salzburgische Einwanderung auf dem Lande. Um 1732 gab es nur noch wenige wüste Hufen in unserer Gegend. Daher finden wir im Amt Gudwallen nur drei und im Amt Weedern nur sechs salzburgische Hufen.

Nach der Stadtwerdung waren Magistrat und Stadtälteste die Hauptpersonen der städtischen Verwaltung. Ein Rathaus war noch nicht vorhanden. Bis zum Jahre 1777 befand sich das Amtszimmer der Stadtverwaltung im Hause des jeweiligen Bürgermeisters. Bedingt durch den Bevölkerungszuwachs und den größeren Verwaltungsbetrieb genügten die Amtszimmer in den Privathäusern nicht mehr. Am 5.5.1777 erfolgte die Grundsteinlegung für das Rathaus. Im Oktober 1778 konnte der Magistrat einziehen.

Der Siebenjährige Krieg (1756–63) zog auch Ostpreußen wieder stark in Mitleidenschaft. Namentlich der Norden unseres Kreises (Trempen) litt unter den russischen Truppen und den Greueltaten der nicht zum Heere gehörenden Banden. Einschließlich der geraubten Sachen hatte Darkehmen während dieses Krieges einen Verlust von 5911 Thalern. Dennoch stieg das kleine städtische Gemeinwesen auf. Die wachsende Einwohnerzahl – 1756 im Jahre 1806 – ist ein Maßstab dafür.

Gut Kleszowen – Mutterstuten beim Pflügen

Wenn auch die Landwirtschaft die Grundlage der Lebenshaltung der Einwohner von Stadt und Land blieb, hatten die Könige Friedrich Wilhelm I und Friedrich II sowie private Geldgeber durch Fabrikgründungen das Handwerk in der Stadt zu einer wirtschaftlichen Blüte gebracht, wie diese im 19. Jahrhundert nicht mehr erreicht worden ist. Im Jahre 1775 gab es unter 1555 Einwohnern 200 Meister aller Handwerke. Müllerei und Brennerei sind die ältesten Gewerbe. Schon 1723 wurde durch Ausnutzung der Wasserkraft der Angerapp eine Mühle auf königliche Kosten erbaut. 1736 wurde eine Ölmühle, 1743 eine Walk-Lohmühle errichtet. Bier- und Branntweinbrennereien waren zunächst königliche Betriebe. Ein königlicher Erlass vom 10.9.36 schenkte der Stadt das Vorwerk (an der Insterburger Straße gelegen) nebst der Brauerreigerechtigkeit. Diese war seit 1746 an Bürger der Stadt verpachtet.

Der wirtschaftlich denkende Soldatenkönig förderte besonders die Tuchindustrie. Das benötigte Militärtuch sollte im eigenen Lande hergestellt werden. Die 1769 errichtete Tuchfabrik hatte sich aus der schon seit 1732 bestehenden Sammelstelle für durch Heimarbeit hergestellte Wollstoffe entwickelt. 1784 wurde eine Tuchfärberei gegründet, ein Jahr später eine Lederfabrik für feine Leder. Die napoleonische Zeit hatte diese blühenden handwerklichen Industrieen vernichtet. Die neue Zeit hat sie nicht mehr hochbringen können, da das Interesse des Staates dem Westen gehörte, wo Industrie und Verkehr einen ungeahnten Aufschwung nahmen. Nur die Mühlenindustrie kam wieder in Gang. Nach der 1902 erfolgten Neuerbauung der Mühle und Ausstattung mit den damals modernsten Einrichtungen entwickelte sich diese zu einem Werk, das zu den größten der Provinz gehörte. 1900 entstand eine zweite Mühle, die Schälmühle.

Schon wenige Jahre nach der Stadtgründung wurde Darkehmen mit zeitlichen Unterbrechungen Garnison (1736). Zunächst lagen hier in den zu Quartieren und Ställen umgebauten ehemaligen Vorwerksgebäuden Husaren, seit 1740 Dragoner. Die wachsende Bedeutung der Stadt verschaffte ihr auch eine größere Garnison. Seit 1775 lagen hier im Wechsel zwei Eskadrons Husaren und Bosniaken von dem in Goldap stehenden Regiment von Lossow, dann Dragoner und Husaren anderer Regimenter.

1796/97 nahm das 2. Bataillon des Grenadierregiments von Hausen Quartier. Am 1. April 1890 rückte das zweite Bataillon des 4. Posenschen lnfanterieregiments Nr. 59 ein. Die Soldaten wurden zunächst in Bürgerquartieren und in der ehemaligen Tuchfabrik untergebracht. 1892 war der Bau der Kaserne fertiggestellt und konnte bezogen werden. Am 1. April 1902 kamen die 59er nach Soldau, dafür rückte das 1. Bataillon des Infanterieregiments Nr. 45 aus Lötzen ein, das bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges in Garnison blieb. In den Kriegsjahren am Anfang des 19. Jahrhunderts 1806/07 und 1812 litten Stadt und Kreis furchtbar unter feindlichen und befreundeten Truppen, denen Leistungen und Einquartierungen zu gewähren waren. Den Magistratsakten der Stadt war zu entnehmen, dass der Schaden 1807 über 20.000 Taler und 1812 13.500 Taler betrug. 1807 weilte der preußische König Friedrich II zusammen mit Kaiser Alexander von Russland in der Stadt, 1812 die französischen Marschälle Ney und Davoust.

Trotz der Kriegsnot verzagten die schwergeprüften Bewohner unserer Heimat nicht, war ihnen doch ein köstliches Geschenk zuteil geworden, die preußische Städteordnung vom Jahre 1808. Dem Bürgertum waren schwerste Opfer auferlegt, so gab man ihm auch Rechte. Die Zeit nach 1815 bedeutet einen Einschnitt in der Geschichte der Stadt und des Kreises. Durch die königliche Verordnung vorn 3. Juli 1818 erfolgte die Einteilung der alten Kammerbezirke in landrätliche Kreise. Die Kirchspiele Darkehmen, Trempen, Carpowen, Dombrowken, Szabienen, Kleßowen und Wilhelmsberg wurden zum Kreise Darkehmen vereint. Am 1. September 1818 wurde Darkehmen zur Kreisstadt erhoben. Die Stadt, die zu diesem Zeitpunkt etwa 2000 Einwohner zählte, wurde damit in enge Verbindung mit der umliegenden Landschaft gebracht und Mittelpunkt eines rein landwirtschaftlichen Kreises.

Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges entwickelte sich eine vorbildlich geführte und ertragreiche Landwirtschaft. Neben dem Ackerbau war die Rindvieh- und Schweinezucht die bedeutendste Einnahmequelle. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Zucht des Warmblutpferdes gewidmet, beeinflusst durch das 1732 gegründete königliche Stutamt, das spätere Hauptgestüt Trakehnen. Zur Veredelung der Pferdezucht ließ der Kriegs- und Domänenrat Friedrich Wilhelm von Fahrenheid bereits 1788 für seine Begüterungen im Kreise geeignete Hengste aus ungarischen und siebenbürgischen Gestüten ankaufen und 1803 aus England. Den Hauptteil an der Förderung der Pferdezucht hatte das 1824 gegründete Landgestüt Gudwallen, daneben aber auch Privatgestüte der großen Güter sowie die bäuerlichen Betriebe.

Schloss Beynuhnen – Parkansicht

Der Name von Fahrenheid war aber noch in anderer Beziehung für unseren Kreis bedeutsam. Fritz von Fahrenheid, geb. am 31.10.1815 zu Angerapp, der einem seit Jahrhunderten in Ostpreußen ansässigen Patriziergeschlecht entstammte, war der Gründer der Kunstschöpfung „Schloß Beynuhnen“. Als Herr der Güter Beynuhnen und Dombrowken in unserem Kreise, besaß er noch außerhalb des Kreises weite Landgebiete, die es ihm erlaubten, seiner Neigung für die althellenische und römische Kunst zu leben. Auf seinen weiten Reisen in den Orient, aber auch nach Spanien, Frankreich und England, erwarb er oft mit großen Kosten antike Kunstwerke oder er ließ, wo ein Ankauf ausgeschlossen war, genaue Nachbildungen anfertigen.

Das alte Gutshaus reichte zur Unterbringung der von Jahr zu Jahr größer werdenden Sammlungen nicht mehr aus und so entstand in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts das im Renaissancestil erbaute Schloss. Es verriet schon im Äußeren seine hohe Bestimmung als Kunsttempel. Die altgriechischen Architekturformen kehrten im Innern wieder. In 10 Räumen nahm es die reichen Kunstschätze, deren Sammlung von Fahrenheid als Lebenswerk war, auf. An das Schloss grenzte der berühmte etwa 150 Morgen große Park. In der Mitte der Anlagen erhob sich auf einer kleinen Anhöhe ein dorisches Tempelchen, dass in seinem Innern eine Nachbildung der vielbewunderten Laokoongruppe barg. Nicht weit davon, am Fuße einer schmalen Säule, die die Statue der Hoffnung trug, ruht der Schöpfer all dieses Schönen seit dem 5. Juni 1888 an der Seite seines Freundes von Salpius. Auf seinem Grabstein las man die von ihm selbst verfasste bedeutsam Inschrift. „Verlassend eine Weltreich an unbefriedigter Sehnsucht, erharre ich in Demut der großen Offenbarungen im Herrn.“

1878 wurde der Kreis durch die Errichtung der Anschlussstrecke Insterburg-Goldap-Lyck an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Schwierigkeiten bei der Geländeerwerbung hatten die Eisenbahnverwaltung gezwungen, in 3 km Entfernung von der Stadt den Bahnhof Darkehmen bei Ströpken anzulegen. Erst 1913 wurde die Bahnlinie von Gumbinnen über Darkehmen nach Angerburg eröffnet.

1886 ging Darkehmen als erste Stadt Ostpreußens zur elektrischen Straßenbeleuchtung über. Die Mühle lieferte den durch Wasserkraft erzeugten Strom. 1907 wurde ein städtisches Elektrizitätswerk auf dem Markt errichtet, das seinen Zweck bis zum Anschluss an das Stromversorgungsnetz der Ostpreußen-AG erfüllte.

Über Kreis und Stadt brach am 1.8.1914 der erste Weltkrieg herein. Nach dem ungünstigen Verlauf der Schlacht bei Gumbinnen ließ das Oberkommando am 20.8. die Stadt räumen. Die Bevölkerung floh zum größten Teil vor den am 23.8. einrückenden Russen. Den Plünderungen folgten Brände, vor allen Dingen am Markt und in der Insterburger Straße. Zivilpersonen wurden verschleppt. Am 11.9. mussten die Russen die Stadt wieder räumen, steckten jedoch noch die Rosemundsche Mühle und den Schlachthof in Brand. Im Oktober setzten wieder Kämpfe an der Angerapplinie ein. Von Weedern aus wurde die Stadt häufig unter Beschuss genommen, bis der deutsche Vorstoß im Februar 1915 die Russengefahr endgültig bannte.

Der Wiederaufbau schritt langsam vorwärts. Die letzten Neubauten waren 1922 beendet. 1925 wurde das 200jährige Stadtjubiläurn festlich begangen. Die Stadt blühte weiter auf, das zeigte sich in den für das Allgemeinwohl errichteten Bauten und Anlagen. 1925 wurde das evgl. Gemeindehaus errichtet, 1930 die Kreissparkasse, 1931 die Turnhalle. 1934 wurde das Kreiskrankenhaus (Fritz-Schaudinn-Krankenhaus) erbaut. Es war nach dem Sohn des Kreises, Fritz Richard Schaudinn, geb. am 19.9.1871 in Röseningken, benannt. Schaudinn war ein namhafter Zoologe und Protozoenforscher. Im Jahre 1905 entdeckte er den Erreger der Amöbenruhr und der Syphilis. Damit hat er der Menschheit einen großen Dienst erwiesen.

Neue Badeanstalt mit Blick über die Angerapp zur Goldaper Chaussee

1936 wurde die Flussbadeanstalt z. T. in Gemeinschaftsarbeit angelegt. Durch eine für die gesamte Provinz geltende Anordnung wurde 1938 eine große Anzahl von Städten, Dörfern und Gemeinden umbenannt, so Darkehmen in Angerapp. Die Bevölkerung des Kreises war auf die Kreisstadt und 163 Landgemeinden verteilt. Nach der Volkszählung vom 17.5.1939 hatte der Landkreis 31.549 Einwohner, davon die Stadt Angerapp 4.336. Das Flächengebiet des Kreises Angerapp umfasste 75 948 ha = 759,48 qkm. Die land- und forstwirtschaftlich genutzte Fläche verteilte sich auf 2164 Betriebe in der Größenordnung von 0,51 bis 100 ha und darüber. Hinzu kamen noch 3.377 landwirtschaftliche Kleinbetriebe und Kleingärten bis 0,5 ha. Nach der Viehzählung vom 3.12.36 hatte der Kreis einen Viehbestand von 11.349 Pferden, 34.809 Stück. Rindvieh, 3.163 Schafen, 38.600 Schweinen, 128.753 Stück Federvieh. 1.937 waren 845 gewerbliche Betriebe vorhanden. Das gesamte Straßennetz des Kreises betrug 309,127 km. Davon entfielen auf Reichsstraßen 46.360 km; Straßen 1. Ordnung 44,155 km; Straßen 2. Ordnung 151.937 km; nicht anerkannte Kreisstraßen 66.639 km.

Am 1.9.1939 begann der 2. Weltkrieg mit seinen so verheerenden Folgen. Im Herbst 1944 rückte unser Kreis in Frontnähe und musste am 22. Oktober von der Zivilbevölkerung geräumt werden. In erbitterten Kämpfen verteidigten alte ostpreußische Einheiten zusammen mit Soldaten aus anderen deutschen Gebieten den Heimatboden. Die Übermacht war zu groß. Im Zuge der am 13.1.1945 einsetzenden gegnerischen Offensive auf Königsberg fiel Angerapp am 22.1.1945 in russische Hand. Der überwiegende Teil der Bevölkerung war geflüchtet, teilweise jedoch nur bis zum Auffangkreis Pr. Holland. Was sie auf der Flucht erlitt und ertrug, ist in Zeitdokumenten festgehalten.

Ostpreußen wurde unter die Sowjetunion und Polen aufgeteilt. Die Grenze läuft durch unseren Kreis. Die Stadt Angerapp mit dem nördlichen Kreisgebiet steht nunmehr seit 1945 unter russischer, der südliche Teil des Kreises unter polnischer Verwaltung. Die Heimat tragen wir jedoch in unseren Herzen und sie lebt darin weiter, eingedenk und im Glauben an das Wort des größten Ostpreußen Immnanuel Kant, das er in seiner Schrift vom ewigen Frieden prägte. „Die Natur will unwiderstehlich, dass das Recht zuletzt die Obergewalt behalte.“

Flüchtlingstrecks auf dem Maktplatz vor der russischen Besetzung der Stadt vom 23.8.–11.9.1914

Kreisgemeinschaft Angerapp (Darkehmen) in der Landsmannschaft Ostpreußen e. V.

Patenkreis der Kreisstadt Mettmann

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